Om, Glanz & Gloria

Was zu tun ist, wenn "den Ternd zu hassen, auch nur ein Trend ist". Selbstliebe und andere Spaßveranstaltungen
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Es begann an einem Dienstagmorgen, jener Wochentag, der wie der kleine Bruder vom Montag immer das Bedürfnis hat, sich wichtig zu fühlen. Sie saß auf ihrer Yogamatte – die dritte diese Woche, weil sie schließlich nur das Beste für ihren Körper wollte, auch wenn ihr letzter Sonnengruß eher an einen gekenterten Schwan erinnerte als an eine erleuchtete Göttin. Die Influencerin ihres Vertrauens flüsterte aus dem Handy: „Du bist genug. Sag es dir selbst. Immer wieder.“ Sie nickte eifrig, als hätte sie gerade die Lösung für alle weltpolitischen Krisen gefunden, und begann, ihr Mantra herunterzubeten, während ihr Hirn gleichzeitig die Einkaufsliste abarbeitete und der Kater demonstrativ ins Schlafzimmer kotzte.

Seitdem war sie auf dieser Reise. Diese große, glänzende Reise zur Selbstliebe. Es fühlte sich ein bisschen an, als hätte sie ein Premium-Abo für Selbstbetrug abgeschlossen. Sie klopfte sich auf die Schulter, wenn sie beim Bäcker nur zwei Teilchen nahm („Grenzen setzen!“), lächelte sich im Spiegel an, auch wenn sie gerade einen XXL-Pickel mitten auf der Stirn kultivierte („Alles darf da sein!“), und belohnte sich mit einer Massage, weil sie am Wochenende den Müll runtergebracht hatte („Selfcare first!“).

Natürlich machte diese neue Haltung sie auch sozial unfassbar kompetent. Wenn eine Freundin sich ausheulte, nickte sie verständnisvoll und hauchte: „Vergiss nie, dich selbst an erste Stelle zu setzen.“ Früher hätte sie die Freundin einfach in den Arm genommen. Jetzt empfahl sie wahlweise eine Klangschalenmeditation oder ein Buch mit dem Titel „Wie ich mich selbst geheiratet habe – und dabei endlich angekommen bin“. Alles für die Heilung, alles für die gute Sache.

Und dann diese Alltagssituationen, in denen Selbstliebe so herrlich auf die Realität knallte. Neulich im Fitnessstudio stand sie vor dem Spiegel und bewunderte ihre Haltung beim Kniebeugen (die übrigens exakt dem Meme „Expectation vs. Reality“ entsprach). Eine Frau neben ihr fragte, ob sie kurz an die Hanteln könnte. Früher hätte sie selbstverständlich Platz gemacht. Heute antwortete sie mit einem sanften Lächeln: „Gerade jetzt ist mein Raum wichtig.“ Als die andere verständnislos guckte, schob sie schnell ein „Ich ehre dich und deinen Weg“ hinterher und machte noch drei langsame Kniebeugen, bei denen sie sich fast die Lunge abklemmte. Hauptsache zentriert.

Am Schönsten wurde es, wenn Selbstliebe auf den Straßenverkehr traf. Ein Mann hupte sie an, weil sie beim Rechtsabbiegen den kompletten Verkehr lahmgelegt hatte. Früher wäre sie rot angelaufen, hätte sich entschuldigt und hektisch beschleunigt. Jetzt kurbelte sie das Fenster runter und sagte mit einer Ruhe, die selbst Lavendel neidisch gemacht hätte: „Ich bin wertvoll, auch wenn du meine Geschwindigkeit gerade nicht siehst.“ Dann fuhr sie im Schneckentempo weiter, während er in seiner Auto-Kabine vermutlich sämtliche Chakren gleichzeitig öffnete – vor Wut.

Der Höhepunkt ihrer Erleuchtung kam allerdings in einem Streit mit ihrem Partner. Früher hätte sie irgendwann klein beigegeben, vielleicht sogar versucht, die Sache zu klären. Diesmal aber zog sie ihr neues Lieblingsargument: „Ich liebe mich selbst genug, um diese Energie nicht in mein Feld zu lassen.“ Er sah sie an, als wäre sie komplett irre geworden. Ehrlich gesagt – sie verstand ihn. Sie hatte das ja auch nur auf Instagram gelernt.

Doch woher kam eigentlich diese plötzliche Selbstliebe-Besessenheit? Die Ursprungsszene, die sie später in ihren „Inner Child“-Journaling-Sessions zu Tode analysierte, spielte sich völlig unspektakulär in einer Umkleidekabine ab. Sie hatte sich ein Kleid ausgesucht – Sommer, flatternd, genau das richtige Maß an „ich tu so, als wär ich locker“ – und betrachtete sich von allen Seiten. Das Licht in der Kabine war erbarmungslos. Links ein Schatten, der aussah wie ein frisch gewachsener Rettungsring, rechts ein Abdruck von der Jeans, den man vermutlich auch mit einer Exorzismus-Meditation nicht mehr loswurde. Sie starrte sich an und hörte sich plötzlich sagen: „Also… das kannst du wirklich tragen, wenn du dich selbst genug liebst.“

Ein Satz, der so dahingesagt klang, aber bei ihr zündete wie eine Wunderkerze in einem Heuballen. Wenn ich mich selbst genug liebe. Aha. Das war also die geheime Eintrittskarte zur ewigen Coolness. Offenbar gab es einen Level von Selbstakzeptanz, bei dem Bauchrollen einfach „sinnlich“ wurden, Cellulite als Kunstform durchging und schlechte Laune nur noch als „Mood“ deklariert wurde.

Von da an ging’s rund. Sie legte sich ein Vision Board zu, das aussah wie der Basteltraum einer Erstklässlerin mit einem Pinterest-Account. Jeden Morgen flüsterte sie Affirmationen ins Badfliesen-Universum, während ihre Nachbarn vermutlich dachten, sie führe laut Selbstgespräche über ihren Wert. Sie buchte einen Kurs mit dem verheißungsvollen Titel „Selbstliebe in sieben Schritten – von der Raupe zum Schmetterling“, wo sie nach fünf Minuten erfuhr, dass der wahre Schmetterling immer schon in ihr geschlummert hatte. Na klar. Und trotzdem schlüpfte sie zuhause lieber in ihre gemütliche Jogginghose als in metaphorische Flügel.

Abends scrollte sie durch Instagram, vorbei an Frauen, die strahlend erklärten, sie hätten durch Selbstliebe nicht nur ihre Beziehung gerettet, sondern auch ihre Haut, ihre Finanzen und ihre Aura. Sie nickte zustimmend, während sie Chips aus der Tüte futterte und sich dachte: Ja, Baby, genau das tu ich auch gerade. Nur mit mehr Salz.

Und so lebte sie jetzt: jeden Tag ein bisschen weiser, ein bisschen zentrierter, und immer kurz davor, sich selbst ein Zertifikat für spirituelle Meisterschaft auszustellen. Ihr Terminkalender bestand aus Breathwork, Face Yoga, „Inner Child“-Heilarbeit und ungefähr dreißig Podcast-Folgen mit Titeln wie „Du bist dein eigener Guru“. Zwischendurch versuchte sie zu vergessen, dass sie manchmal auch einfach nur grantig war, Leute doof fand oder sich in Jogginghose mit Chips auf der Couch am wohlsten fühlte. Aber hey – auch das war Selbstliebe, oder?

Am Ende blieb sie dabei: Sie liebte sich selbst. Vielleicht liebte sie sich sogar ein kleines bisschen zu viel. Und wer jetzt dachte, das klänge alles ziemlich anstrengend – das war vermutlich nur der innere Kritiker, der noch ein bisschen Nachhilfe in Selbstliebe brauchte. Sie hätte da ein paar Tipps. Und ein richtig gutes Räucherwerk.

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