WHAT – WHERE – WITH WHOM?

Die Achsen deines Lebens: Substanz, Kontext, Resonanz
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Drei Fragen, für einen Lebenskompass

Es gibt Fragen, die so schlicht wirken, dass wir sie oft nur streifen, ohne sie ernsthaft zu betrachten. Fragen, die sich wie weiche Hintergrundgeräusche durch unsere Entscheidungen ziehen – kaum hörbar, bis etwas in uns aufhorcht, weil etwas fehlt.

What? Where? With whom?
Was tue ich?
Wo lebe ich?
Mit wem verbinde und beschäftige ich mich?

Diese Fragen sind keine Lifestyle-Mantras oder bloß ein Gedankenspiel. Sie sind Koordinaten unseres Daseins, Vektoren für Sinn und Zugehörigkeit. Ihr Zusammenwirken entscheidet mit, ob wir am Ende des Tages ein Gefühl von Stimmigkeit empfinden – oder den leisen Schatten von Unruhe und Entfremdung.

In einer Kultur, die uns lehrt, Effizienz und Erfolg über alles zu stellen, verlieren wir leicht aus dem Blick, wie elementar es ist, sie immer wieder zu prüfen. Nicht als Selbstoptimierungsroutine, sondern als Kompass für Integrität und Lebendigkeit.

Die Illusion der Substitution

Viele Menschen glauben unbewusst, man könne diese Fragen gegeneinander eintauschen:

  • dass der richtige Ort jede Aufgabe edel macht,
  • dass die richtigen Menschen jeden Mangel an Sinn ausgleichen,
  • dass eine begeisternde Aufgabe Isolation kompensiert.

Aber wie der Philosoph Charles Taylor (1991) feststellt, entsteht Identität immer im Dialog mit Kontext und Beziehung:

“We define our identity always in dialogue with, sometimes in struggle against, the things our significant others want to see in us.”

Selbst die kraftvollste Mission verliert ihren Atem, wenn sie in einem feindlichen Raum wächst.
Selbst der schönste Ort wird hohl, wenn niemand da ist, in dem wir soziale Bindung finden.
Selbst das vertrauteste Miteinander kann stagnieren, wenn wir unsere Aufgabe verraten.

Diese Achsen sind keine Jokerkarten. Sie balancieren einander, aber sie sind nicht austauschbar.

What – Die Substanz

WHAT ist das Material deines Alltags.
Es ist der Inhalt deiner Tage, der Stoff deiner Zeit. Die Handlung zu dem Narrativ, das dir deine Perspektive auf die Welt und dich in ihr spiegelt.

Die Tätigkeit, der du nachgehst, prägt dich auf subtile Weise. Mihaly Csikszentmihalyi (1990) hat in seiner Forschung zum Flow beschrieben, wie zentral es für das Wohlbefinden ist, eine Aufgabe zu finden, die weder unterfordert noch überfordert – die ein Gefühl von Handlungsmacht, Präsenz und wachsender Meisterschaft auslöst.

Vieles zeigt sich schon in frühen Kindheitstagen, was so dein Ding ist, welche Aufgabe dich befriedigt und letztendlich, welchen Beitrag Du zum Miteinander beiträgst. Ja, wir Menschen brauchen das!

Aber Sinn ist mehr als bloße Aktivierung neuronaler Belohnungssysteme. Viktor Frankl (1963) sprach davon, dass Menschen ein „existentielles Vakuum“ erleben, wenn sie nicht spüren, dass ihr Tun über sie hinausweist:

“Life is never made unbearable by circumstances, but only by lack of meaning and purpose.”

Ein Mensch kann ökonomisch erfolgreich sein, eine Tätigkeit perfekt beherrschen – und doch eine chronische Leere fühlen, wenn sie nicht Teil eines größeren Zusammenhangs ist.

Darum lohnt es sich zu fragen:

  • Wofür steht mein Tun?
  • Würde ich es auch dann tun, wenn niemand zuschaut?
  • Ist es ein Ausdruck dessen, was mir wirklich wichtig ist?

Where – Der Kontext

WHERE bezeichnet den Raum, in dem du dich bewegst.
Das Milieu, das Klima, den physischen und psychischen Ort.

Manche Räume laden dich ein, du selbst zu sein. Andere zwingen dich in Haltungen, die sich anfühlen wie zu enge Schuhe.

Das WHERE finde ich so spannend, weil wir es uns hier selbst sooft eng machen. Besonders der psychische Raum verliert schnell seine Flexibilität und wird durch Rechtfertigung möbiliert.

Die Forschung zur Umweltsychologie zeigt, wie tiefgreifend Kontexte auf unsere Identität wirken. Edward Relph (1976) beschreibt das Phänomen „Placelessness“ – die Entwurzelung, die entsteht, wenn Räume austauschbar und funktionalisiert werden. Orte verlieren ihre Geschichte, ihre Resonanz. Menschen werden Pendler durch seelenlose Zonen.

Dagegen kann ein Ort mit Bedeutung – ein Atelier, ein Gemeinschaftsgarten, eine lebendige Nachbarschaft – ein Resonanzraum sein, in dem Erfahrung dichte Textur bekommt. Hartmut Rosa (2016) nennt das „Resonanzbeziehungen“:

“Resonance is a mode of relation to the world in which subject and world touch and transform each other.”

Der richtige Ort ist mehr als eine Kulisse. Er kann selbst ein Akteur sein, ein Verstärker dessen, was du tust.

Geschichtlich und politisch ist hier ein Raum der Funktionalität. Es ist also nicht nur die Frage: Wo man leben möchte, sondern auch Wo man herkommt, die immer mal wieder interessant und übergriffig wird, dabei sind es gerade die Narrative und Bedürfnisse, das WHERE eines anderen, das mir Möglichkeiten bietet, über meinen eigenen Tellerrand zu lunzen, ohne alles durchlebt zu haben. Migrationsgeschichten halten für uns ein ignoriertes Potenzial, genau diese, sehr erhebliche Frage, zuzulassen.

With Whom – Die Resonanz

WITH WHOM ist die Frage nach Beziehung.
Mit wem teilst du deine Zeit, deine Fragen, dein Ringen und dein Feiern?

Beziehungen sind die Matrix, in der wir uns entwickeln. In der Bindungsforschung (Bowlby, 1988) wird deutlich: Menschen sind zutiefst soziale Wesen. Autonomie entsteht nicht im luftleeren Raum, sondern auf dem Boden sicherer Bindung.

Auch jenseits der engsten Beziehungen bestimmt die soziale Umgebung unser Erleben. Nicholas Christakis und James Fowler (2009) haben in großen Netzwerkanalysen gezeigt, wie Gefühle, Verhaltensweisen und sogar Gesundheit sich über soziale Netze ausbreiten.

“Our connections do not end with the people we know. We are connected to everyone they know, and everyone those people know, and so on.”

Mit wem du dich umgibst, beeinflusst:

  • worüber du nachdenkst,
  • welche Standards du entwickelst,
  • was du dir zutraust,
  • Scham- und Schuldgefühle,
  • Expansion deiner Potenziale,
  • uvm…

Das WITH WHOM ist für mich eine der stärksten Säulen. Während wir dazu neigen, aus einer einzigen Erfahrung mit einem Menschen, Prämissen für ein ganzes Label auszumachen, vergessen wir, dass es eben immer auf genau diesen Menschen ankommt in der Beziehung mit dir.

Nicht alle Menschen dieser Welt sind so, sondern vielleicht die deiner Gegend.

Ich wünsche jedem das Erlebnis, einen Menschen zu finden, mit dem Du lachen, spielen, spaßen und eben aufgefangen sein kannst.

Dynamik statt Ideal

Viele Menschen suchen nach einer idealen Konstellation: die perfekte Aufgabe, den magischen Ort, die Seelenverwandten.

Aber Leben ist Bewegung. Beziehungen verändern sich. Orte wandeln sich. Aufgaben verlieren an Strahlkraft oder gewinnen sie – oft in Resonanz zu Dir.

Es ist keine Schwäche, immer wieder innezuhalten und neu zu fragen:

  • Was hat sich verschoben?
  • Was darf ich loslassen?
  • Was ruft mich weiter?

Es ist ein Zeichen von Reife.

Praktische Reflexion: Drei Fragen im Alltag

Wenn du spürst, dass Unruhe oder Überforderung in deinem Leben Raum greift, probiere diesen kleinen Prozess:

  1. Resonanz prüfen:
    Lies die Worte. Wo fühlst du Energie? Wo Müdigkeit? Wo entsteht ein Impuls?
  2. Eine kleine Bewegung wählen:
    Entscheide dich für einen winzigen Schritt, der mehr Stimmigkeit bringt – ein Gespräch suchen, den Arbeitsplatz umgestalten, dir bewusst Zeit für ein Herzensprojekt nehmen.

Perspektive: Kein Entweder-oder

Die westliche Moderne hat eine Tendenz, diese Fragen gegeneinander auszuspielen.
Manchmal wird Arbeit zum Ersatz für Beziehung.
Manchmal wird Zugehörigkeit zur Flucht vor der Frage nach Sinn.
Manchmal wird Ortswechsel zum Allheilmittel für innere Konflikte.

Doch Integrität entsteht, wenn wir sie als Dreiklang denken.

Die amerikanische Autorin Anne Lamott hat es in einem Satz gefasst:

“Almost everything will work again if you unplug it for a few minutes – including you.”

Manchmal bedeutet das, sich von all dem Lärm der Erwartungen zu lösen und still zu fragen:
Was will mein Leben jetzt wirklich von mir?

Cross Art & Body Work: Fragen verkörpern

In somatischen Praktiken wie Tanz, kreativer Improvisation und Körperarbeit kannst du diese Fragen nicht nur denken, sondern spüren.

  • WHAT zeigt sich in der Bewegung: In welchem Ausdruck fühlst du Wahrheit?
  • WHERE erfährst du in der Qualität des Raumes: Welche Räume lassen dich aufrichten?
  • WITH WHOM erkennst du in Begegnungen: Wer sieht dich jenseits von Rollen?

Cross Art & Body Work schafft Erfahrungsräume, in denen du deine Koordinaten justieren kannst – nicht als fertige Antworten, sondern als lebendige Erkundung.

Zum Schluss

Es gibt keine endgültige Karte, keine Garantie auf Stabilität.

Aber es gibt diesen Mut, die Fragen immer wieder zu stellen.

Nicht, weil wir alles kontrollieren können.
Sondern, weil Klarheit entsteht, wenn wir unsere Aufmerksamkeit nicht nur nach außen richten, sondern nach innen lauschen.

Was, wo, mit wem?
Drei Fragen.
Ein Leben, das sich lohnt, ehrlich zu bewohnen.


Quellen:

  • Bowlby, J. (1988). A Secure Base: Parent-Child Attachment and Healthy Human Development.
  • Christakis, N., & Fowler, J. (2009). Connected: The Surprising Power of Our Social Networks and How They Shape Our Lives.
  • Csikszentmihalyi, M. (1990). Flow: The Psychology of Optimal Experience.
  • Frankl, V. (1963). Man’s Search for Meaning.
  • Relph, E. (1976). Place and Placelessness.
  • Rosa, H. (2016). Resonanz. Eine Soziologie der Weltbeziehung.
  • Taylor, C. (1991). The Ethics of Authenticity.

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