Welaxen – Die Kraft des gemeinsamen Entspannens
In einer Welt, in der Self-Care als oberstes Gebot der Selbstfürsorge gilt, werden wir ständig dazu ermutigt, uns auf uns selbst zu konzentrieren. Uns in uns selbst zu suchen, aber das Leben, das ist da draußen.
„Nur wer sich selbst liebt, kann auch andere lieben.”
“Das Maß deiner Selbstliebe, ist das Maß der Liebe des Anderen.”
Die Erinnerung, sich um sich zu kümmern, etwas dafür zu tun, dass es einem selbst gut geht, sich mehr Raum als nur eine Rolle zu geben, Möglichkeiten zu entdecken und den Wert von Individualität – eigenen Entscheidungen – wertzuschätzen, ist besonders aus einer Historik, des materiellen Wachstums, der Lossagung von Rollen und der Etablierung von Entscheidungsmöglichkeiten gewachsen – eigentlich eine gute Sache!
Dennoch ist daraus eine Industrie am Leben vorbei geworden. Wir haben das Wissen, die Informationen, vom Leben seperiert. Self-Care ist eine Industrie geworden und ob ich mir nun die alte Maggie-Werbung anschaue, um mir meine Rolle als Hausfrau zu erleichtern, oder ich eben gestresst noch schnell Yoga, Breathwork, 5am-Club und Journaling for a better life reinziehe, das bleibt letztendlich das Gleiche in grün – Das Mittel hat seinen Zweck verfehlt.
Dem ganzen Industriellen, entzieht sie eine Power: die unfassbare Kraft des Welaxens – des gemeinsamen, wortlosen Entspannens und Energieauftankens, dem good old Abhängen.
Zwischenmenschliche Energie – Warum Welaxen so essenziell ist
Wenn wir von Beziehung und Gemeinschaft sprechen, dann versuchen wir oft, uns mitzuteilen, uns zu markieren, ein Emoji zu senden oder eine nette Nachricht. Aber, das Welaxen hat keinen Medienbruch, es ist das gute alte zuverlässige “wir treffen und Halti“, das Rumsitzen nach’m Kicken, das Sternegucken, das sich ankuscheln, das zum richtigen Zeitpunkt die Schnauze halten. Und auch jetzt, wo ich das hier schreibe, merke ich, dass ich es funkionalisiere, dass ich so tue als könnten Komponenten die Tiefe und die Kraft dieser Bedeutung erklären – sie können es nicht! Es ist und bleibt ein offenes Wort.
You know, when you know.
Welaxen ist eine zutiefst natürliche Quelle von Sicherheit, Geborgenheit und Regeneration. Unser Körper ist darauf programmiert, in Verbindung mit anderen zu existieren. Unser Immunsystem, unser endokrinologisches und neurologisches System sind hochsensitiv auf zwischenmenschliche Beziehungen eingestellt. Der menschliche Geist und Körper sind keine Einzelkämpfer – sie brauchen die Resonanz eines Gegenübers, um vollständig zu funktionieren, um überhaupt Self-Care möglich zu machen.
Beim Welaxen mit vertrauten Menschen, aktivieren wir das parasympathische Nervensystem – unser „Ruhen und Verdauen“-Modus – die körpereigene Regenration. Oxytocin, das Bindungshormon, wird ausgeschüttet, Stresshormone werden reduziert UND parasympathische Aktivität findet statt – krass, alles in Dir ist aktiv beim Welaxen.
Doch genau dieses Gefühl geht in einer Welt verloren, in der jede Beziehung ein Zweckbündnis zu sein scheint.
Der Irrtum der Selbstoptimierung in Beziehungen
Nochmal kurz: Der moderne Self-Care-Diskurs suggeriert oft, dass Glück und Wohlbefinden eine rein persönliche Verantwortung sind. „Mach Yoga, iss gesund, arbeite an dir, werde die beste Version deiner selbst.“ Dabei wird ein gefährlicher Trugschluss übersehen: Wir sind soziale Wesen. Unser Wohlbefinden hängt nicht allein von innerer Balance ab, sondern auch von den Beziehungen, und zwar von allen.
Nothing is without context.
Das, wonach wir streben ist grundlegend von außen gerahmt. Wer schon einmal in einer anderen Kultur gelebt hat, der hat bereits Erfahrung damit. Was in der einen Kultur als laut gilt, gilt in der anderen als offenherzig, Körpernähe und Distanz – ein riesen Thema: gemeinsames Speisen – kulturell komplett geprägt. Ab wann ein Körper dick, dünn, dein Mind gestört oder normal ist, das ist alles kulturell geprägt! Ein natürliches Bedürfnis, kulturell gerahmt!
Wir haben das Welaxen verlernt und suchen also nach dem perfekten Partner, weil hier die Rechenprobe für die gelungene Self-Care liegt: Hast Du ‘ne top Beziehung, liebst Du dich wohl selbst genug – als wäre Verbindung ein Algorithmus, ein Swipe-Spiel auf der Suche nach der idealen Ergänzung.
Wir veröffentlichen Profile, aber suchen tiefe Verbindung.
Wenn Du mit Taucheraustrüstung auf dem Fußballplatz auftauchst, bist du entweder ‘n cooler Typ oder Du hast nicht verstanden, dass der Kontext das Spiel bestimmt. Ja, es ist beides Sport, aber halt eine andere Ausführung. Welaxen heißt auch, den richtigen Kontext erkennen zu können.
Eine Beziehung ist nicht das Zusammentreffen zweier optimierter Individuen. Sie ist ein eigenes Biotop.
Das “Wir” als dritter Charakter
Jede enge Verbindung schafft mehr als nur eine Beziehung zwischen zwei Individuen. Sie erschafft ein eigenes Gefüge, einen „dritten Charakter“. Es ist das, was zwischen den beiden entsteht: ein unsichtbarer Raum aus Vertrauen, Intimität und Resonanz. Deine Systeme gestalten hier mit. Der kognitive und bewusste Aspekt fühlt sich dominant an, ist es aber nur in seiner Lautstärke.
Diese Form der Verbundenheit ist der wahre Kern von Welaxen. Ohne Performance. Ohne Ergebnisdruck. Ohne das „schau mal, was wir erreicht haben“. Einfach Sein.
Doch wie entsteht dieser unsichtbare Raum, dieser dritte Charakter? Durch Integrität, Offenheit und Vertrauen. Diese Werte bestimmen den Rhythmus der Beziehung. Sie lassen das „Wir“ gedeihen. Und genau dieses Biotop zwischen zwei Menschen ist es, das unsere Energie wieder auflädt. Welaxen ist nichts Kognitives und nichts, was ich geschrieben habe führt dahin. Es ist ein Sinn, ein Gefühl, ein Geschmack – wortlos.
Persönliches…
Ja, ich welaxe.
Zu den Familientreffen, egal zu welchem Anlass, gab es immer einen Zeitpunkt, wie ein Rhythmus, eine Abfolge, der dazu führte, dass einer nach dem anderen das Abspannen auf der Couch suchte. Es gab tatsächlich ausnahmsloß das zusammen-Ausruhen, je größer meine Geschwister wurden, desto enger wurde es, aber es kam und kommt nie einer auf die Idee, es besser zu finden, ein Bett aufzusuchen. Jedes Mal, wenn ich durch die Fotos gehe oder ich daran denke, dann spüre ich sie – Die Kraft des Welaxens. Wie ein Rudel, wie ein Stamm, das gemeinsame Auftanken.
Es gibt kein besseres seize the moment.
Bestimmt mag es für dich andere Erinnerungen zum Welaxen geben.
Welaxen ist die Urmutter von: Ich bin wertvoll. Das ist mein Platz. Ich gehöre dazu!
We-Care x Self-Care – Warum Welaxen die Antwort auf Einsamkeit ist
Ein Gedanke noch:
Auch der Fluß der Einsamkeit fließt hier. Dating-Apps, Social Media, Perfektionsdruck – wir haben mehr Möglichkeiten zur Vernetzung als je zuvor und fühlen uns gleichzeitig isolierter denn je. Wir haben Isolierungsintrumente in unseren Alltag eingebaut, wir benutzen unser Self-Care als competition und Kontrollinstanz, als ob es nicht darum geht, deine persönlichen Stärken und Ressourcen in die Welt zu bringen, (denn die ist große genug für uns alle) sondern als sei es erstrebenswert, besser als … zu sein, eine krassere Konversionsstory zu erzählen.
Ich glaube, dass das Welaxen gerahmt ist, von der Offenheit zu lernen, im Diskurs zu bleiben, die Eier zu haben für ein “let’s agree to disagree” und Liebe auch durch Lassen zu definieren.
Lass mal nicht in einer kant’schen Zweckgemeinschaft hängenbleiben. Das (Er)Leben hat mehr zu bieten. Lass mal weg vom Beziehungs(zweck)management, hin zum wortlosen Dasein und Auftanken.
Es erinnert uns daran, dass das wertvollste Geschenk nicht die perfekte Beziehung, sondern die wortlose Energie ist, die zwischen (zwei) Menschen fließen kann.
We-Care fuels Self-Care – vice versa. Es ist das Wissen, dass unser Körper, unser Geist, unser ganzes Wesen nicht für das Alleinsein gemacht sind, sondern für das gemeinsame Sein, dass es eben auch die Beziehungen gibt, die einen nähren, ohne sich zu verlieren. Es geht nicht immer um den Rückzug in die Eigenverantwortung, die beste Version seiner selbst zu sein (was übrigens eine Reduktion zum Zweck ist), sondern eben auch zu wissen, mit wem und in welcher Beziehung welaxen möglich ist.
Und vielleicht ist genau das die schönste Form der Präsenz: die wortlose, energiespendende Präsenz eines Menschen, die nichts fordert – sondern einfach da ist. Müssen wir jetzt noch über Liebe sprechen?