Aufbauanleitung zur Männlichkeit

Männlichkeit zum Selberbasteln: Ein Baukasten aus Bartöl, Lagerfeuerromantik und ganz viel Selbstzweifel.
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Was einen Mann plötzlich tief ins Grübeln bringt? Ein Abend vor dem Spiegel, bewaffnet mit einem Barttrimmer und der leisen Ahnung, dass hier irgendwas nicht stimmt. Er hatte sich einen „richtigen“ Bart wachsen lassen – so einer, der in Barbershop-Kreisen Namen trägt wie „Urban Viking“ oder „Lumberjack Deluxe“. Und dann diese Enttäuschung: fleckig, mehr Teenager in der Pubertät als Alpha in Bestform. „Vielleicht bin ich nicht männlich genug“, murmelte er, während er mit der Pinzette ein störrisches Härchen von der Schulter zupfte. Das Haar hielt sich tapfer. Genau wie seine Unsicherheit.

Ab diesem Abend begann die Transformation. Schluss mit Sofa und Netflix. Männlichkeit musste schließlich erspürt werden, am besten draußen, in freier Wildbahn, mit erdiger Unterhose und einer Axt im Anschlag. Er kaufte sich ein Survival-Set, das mehr Funktionen hatte als die ISS, und meldete sich für einen Workshop an, der „Zurück zum Mann – die Urkraft entfesseln“ hieß. Dort traf er andere Suchende. Männer, die seit Jahren nur noch aus Sojalatte, Bürolicht und stummem Schreien unter der Dusche bestanden.

Das erste Ritual: ein Feuer entzünden – ohne Feuerzeug, nur mit Stock und Stein. Unser Held scheiterte ungefähr 23 Mal, bis sein Trainer, ein bärtiger Titan mit dem Vornamen „Thorolf“ (obwohl sein Personalausweis vermutlich Stefan sagte), ein bisschen nachhalf. Aber hey: Das Feuer brannte und alle klatschten. Männlichkeit Level 1 – erreicht.

Wieder zu Hause, brauchte es natürlich auch Veränderungen im Alltag. Er stellte seine Ernährung um. Keine Quinoa-Bowl mehr. Stattdessen Fleisch. Viel Fleisch. Am liebsten roh, direkt vom Metzger. Im Supermarkt stand er eine halbe Stunde vor der Fleischtheke und fühlte sich ganz kurz wie Crocodile Dundee – bis ihm auffiel, dass er sein Einkaufsnetz in der Hand trug, auf dem groß „Regional & Fair“ prangte. Aber egal, Hauptsache Proteine.

Beim nächsten Fußballabend mit den Jungs ließ er lässig fallen, dass er jetzt „morgens Eisbaden“ gehe. Keiner fragte nach Details, also fügte er ungefragt hinzu, dass das „krass abgehärtet“ mache und „die Testosteronproduktion boostet“. In Wahrheit war es bisher bei einem Fußbad im kalten Wasser geblieben, aber das wusste ja keiner. Für den großen Auftritt reichte es allemal.

Natürlich durfte auch das Thema Gefühle zeigen nicht fehlen. Schließlich war echte Männlichkeit 2.0 nicht mehr nur schweigen und aushalten, sondern „sich verletzlich zeigen“. Also postete er auf Instagram ein Schwarz-Weiß-Foto mit dem Untertitel: „Manchmal verliert man sich, um sich wiederzufinden. #mencandoittoo #healing“. Drei Likes, davon eins von seiner Mutter. Egal. Männlichkeit wächst von innen, das hatten sie beim Workshop gesagt.

Die Dating-Welt reagierte durchwachsen auf seine neue Ausstrahlung. Eine Frau fragte beim dritten Date vorsichtig: „Warum trommelst du eigentlich jeden Abend auf dieser Djembe?“ Er erklärte mit ernster Miene, dass dies sein „Herzschlag der Erde“ sei. Sie verschwand nach dem Dessert und meldete sich nie wieder. Aber was wusste sie schon von wahrer Männlichkeit?

Der Höhepunkt seiner Reise war ein Männerkreis unter freiem Himmel. Zwölf Männer, ein Lagerfeuer und ein Redestab, den sie sich herumreichten wie einen heiligen Gral. Als er dran war, sagte er mit fester Stimme: „Ich spüre meine Kraft immer mehr. Ich habe gestern beim Heimwerken ein Regal aufgebaut – ohne Anleitung.“ Tosender Applaus. Ein Mann mit Tränen in den Augen legte ihm die Hand auf die Schulter. „Du bist auf einem guten Weg, Bruder.“

Doch warum überhaupt das Ganze? Was hatte ihn geritten, plötzlich nach seiner Männlichkeit zu graben wie ein Trüffelschwein im Unterholz? Die eigentliche Ursache lag – natürlich – ganz woanders. Es war dieser verhängnisvolle Nachmittag auf einer Gartenparty, die erst ganz harmlos mit Grillwürstchen und Bier begonnen hatte. Ein Freund seiner Freundin, ein Typ mit tätowierten Unterarmen und der Aura eines Typen, der Holz hackt, nur um sich aufzuwärmen, hatte beiläufig gefragt: „Na, was bist du so für ein Mann?“

Eine simple Frage, eigentlich harmlos – aber sie traf ihn wie ein Schlag mit einem Holzhammer. Er lachte nervös, faselte etwas von „Teamplayer“ und „immer offen für Neues“ und merkte erst zu Hause, dass er damit exakt die Beschreibung eines golden Retrievers geliefert hatte. Seine Freundin fand das „total süß“. Er aber lag nachts wach und fragte sich, ob das jetzt alles gewesen sein sollte. Ein Mann, der beim IKEA-Regal Aufbauanleitungen liest und danach ein Hochgefühl verspürt. Ein Mann, dessen wildeste Grenzerfahrung bisher ein schlecht durchgebratenes Steak war.

Da war sie geboren, diese fiebrige Idee: Er musste es finden, dieses sagenumwobene Ding namens Männlichkeit. Nicht nur der Bart, nicht nur das Feuer, sondern der ganze verdammte Spirit. Schließlich konnte es nicht sein, dass Männlichkeit nur noch aus Kreditkartenlimit und fair gehandeltem Espressopulver bestand.

Und so wurde er besessen. Er googelte „Was macht einen Mann zum Mann?“ so oft, dass sein Algorithmus ihn irgendwann nur noch mit Rasiermessern, Proteinpulver und Testosteron-Kuren bombardierte. Er abonnierte YouTube-Kanäle, auf denen Männer mit nacktem Oberkörper in Slow Motion Äxte schwangen und dazu erklärten, dass wahre Stärke von innen komme – aber ein 8-Pack dabei nicht schade.

Seine Wohnung verwandelte sich langsam in eine Mischung aus Baumarkt und Tempel. Ein Stapel Holzscheite im Wohnzimmer, eine Klimmzugstange über der Tür, Räucherstäbchen neben der Werkzeugkiste. Er träumte von Outdoor-Trips und davon, einmal im Leben einen Baum eigenhändig zu fällen – am liebsten mit bloßen Händen. Seine Freundin zog nur noch wortlos die Augenbraue hoch, wenn er mit erdverkrusteten Schuhen ins Wohnzimmer stapfte, um die „Verbindung zur Natur“ nicht zu unterbrechen.

Heute sieht er sich als eine Art spiritueller Chuck Norris – ein Hybrid aus Naturbursche und emotionaler Tiefseetaucher. Seine Wohnung riecht permanent nach einer Mischung aus Räucherwerk, feuchtem Moos und leicht angekokelten Steaks, er hat eine Axt (unbenutzt, aber liebevoll entstaubt) in der Ecke stehen und plant seinen ersten Solo-Trip in den Wald, sobald das WLAN dort stabil genug ist und der nächste Vollmond einen günstigen „Energiefluss“ verspricht.

Manchmal packt ihn spätabends der Zweifel, dieses flirrende Gefühl, dass er trotz allem eigentlich nur ein Mann ist, der zu viel Geld für Bio-Rindfleisch, skandinavische Outdoor-Jacken und ein Abo für „Wilderness & Soul“ ausgegeben hat. Dann steht er vorm Spiegel, kneift die Augen zusammen, spannt demonstrativ die Bizeps an und sagt mit tiefer Stimme: „Bruder, du bist ein Krieger. Ein empfindsamer, ausbalancierter Krieger mit Premium-Mitgliedschaft im Baumarkt.“ Kurz darauf schnappt er sich die Djembe, trommelt den „Rhythmus seiner Ahnen“ – leise genug, damit die Nachbarn nicht wieder die Hausverwaltung einschalten – und fühlt sich für einen Moment absolut unaufhaltsam.

Männlichkeit, ein niemals endendes Projekt. Ein Work-in-Progress zwischen Bartöl, Baumarkt-Sonderangeboten und der ständigen Angst, nicht männlich genug zu wirken, obwohl er heimlich viel lieber in Jogginghose an einem Puzzle sitzen würde. Aber was soll’s – der Weg ist das Ziel, und wenn dieser Weg über ein paar unnötige Survival-Workshops und eine überteuerte Axt führt, dann fühlt sich das immerhin nach Abenteuer an.

Er bleibt dran. Immer auf der Jagd nach dem letzten Haar auf der Brust.

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